Wenn Kinder sagen: „Ich kann das nicht“
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Was dahintersteckt und wie du dein Kind sanft in die Selbstwirksamkeit begleitest
Ein Beitrag von Marie von Calmi
Viele Eltern kennen diesen Moment: Eine Aufgabe steht an – das Anziehen, den Apfel selber schneiden, die Mathehausaufgaben machen – und das eigene Kind sagt sofort: „Ich kann das nicht.“
Oft passiert das, bevor es überhaupt versucht wurde. Und obwohl es bei anderen Kindern in ähnlichem Alter längst klappt, scheint das eigene Kind regelrecht zu blockieren.
Was steckt dahinter? Und wie kann man als Eltern darauf reagieren, ohne Druck aufzubauen?
Selbstzweifel entstehen nicht einfach – sie werden erlernt
Ein Kind hört nicht auf, laufen zu lernen, nur weil es unzählige Male hinfällt. Es steht wieder auf. Immer wieder. Denn von Natur aus sind Kinder neugierig, mutig, lernbereit. Sie wollen Dinge selbst tun. Sie wollen wachsen.
Doch was passiert, wenn sie diese Gelegenheiten immer wieder nicht bekommen?
Wenn wir ihnen – aus Liebe, aus Fürsorge oder aus Angst – zu viele Dinge abnehmen?
Wenn wir sagen:
- „Warte, ich mach das schnell.“
- „Dafür bist du noch zu klein.“
- „Das ist schwierig – ich übernehme das für dich.“
Genau darin liegt das Dilemma: Wenn wir unserem Kind zu oft etwas abnehmen, das es eigentlich schon selbst tun könnte, entziehen wir ihm unbewusst die Gelegenheit, Selbstwirksamkeit zu erleben. Wir meinen es gut – aber das Kind hört: „Du kannst das nicht, deshalb mache ich das für Dich.“
Manchmal steckt auch unsere eigene Ungeduld dahinter. Wir haben es eilig - was allerdings unser Problem ist und nicht das, unseres Kindes. Der Alltag ist eng getaktet. Und es geht ja auch schneller, wenn wir es selbst machen. Aber: schneller heißt nicht besser. Kinder brauchen die Erfahrung, dass sie etwas aus eigener Kraft schaffen können – auch wenn es länger dauert, auch wenn es nicht sofort klappt.
Deshalb der Grundsatz: Tu nichts für dein Kind, was es selbst schon kann.
Hilf ihm lieber, es selbst zu tun. Gib Anleitung, Geduld, Raum – und vor allem: Zutrauen.
Und wenn du dein Kind stärken willst, dann verzichte auf pauschales Lob wie „Toll!“ oder „Super!“.
Was wirklich stärkt, ist Zutrauen und das Beobachten und Benennen von Fortschritten:
– „Ich sehe, wie konzentriert du das gerade machst.“
– „Du hast nicht aufgegeben – obwohl es schwierig war.“
– „Du hast heute einen Schritt weiter geschafft als gestern.“
Solche Rückmeldungen richten den Fokus auf die Anstrengung, auf das Dranbleiben – nicht auf das Ergebnis. Und sie vermitteln genau das, was Kinder am meisten brauchen: das Gefühl, dass ihre Bemühung gesehen wird. Dass sie etwas beitragen können. Und dass sie wachsen dürfen – in ihrem Tempo. Denn ein Kind, dem wir etwas zutrauen, beginnt irgendwann, sich selbst etwas zuzutrauen.

Elternangst – und was sie mit dem Selbstbild des Kindes macht
Hält mich gerade echte Gefahr zurück – oder meine eigene Angst?
Oft sind es gar nicht die Fähigkeiten des Kindes, die es zurückhalten – sondern unsere Angst davor, was passieren könnte, wenn wir loslassen. Viele Eltern übernehmen Aufgaben aus Sorge, das Kind könnte scheitern, sich verletzen, sich unwohl fühlen, oder einfach unglücklich sein.
Doch wenn ein Kind immer wieder hört: „Ich mach das lieber“, nimmt es schnell mit:
„Ich bin nicht in der Lage, das zu schaffen.“
Selbst wenn es körperlich und geistig längst dazu in der Lage wäre.
Natürlich gibt es Situationen, in denen Kinder noch Unterstützung, Anleitung oder Sicherheit brauchen. Aber genauso oft sind es unsere inneren Warnrufe, die uns vorschnell handeln lassen: „Das ist zu schwer.“, „Das wird sonst schiefgehen.“, „Das ist noch nichts für mein Kind.“
Und genau dann lohnt sich die ehrliche Frage:
Geht es hier wirklich um das Kind – oder um mein Bedürfnis nach Kontrolle, Effizienz oder Sicherheit?
Denn Kinder lernen nur dann, dass sie etwas schaffen können, wenn wir ihnen zutrauen, es zu versuchen. Sie brauchen Aufgaben, die sie wachsen lassen. Nicht nur Fürsorge – sondern die Möglichkeit, selbst wirksam zu sein. Einen Unterschied zu machen. Teil der Gemeinschaft zu sein.
Zutrauen bedeutet nicht: alleine lassen. Es bedeutet:
Begleiten, ohne zu bremsen. Vertrauen, ohne zu überfordern.
Warum Zutrauen wichtiger ist als Lob
Wenn Kinder sich unsicher sind oder sich nichts zutrauen, greifen wir als Erwachsene schnell zu aufmunternden Sätzen wie:
„Das hast du toll gemacht!“ oder „Du bist der Beste!“.
Gut gemeint – aber oft nicht hilfreich.
Denn klassisches Lob bewertet. Es richtet den Fokus auf das Ergebnis – und auf die Meinung von außen.
Kinder lernen dabei: „Ich bin gut, wenn andere das sagen.“
Das stärkt nicht ihr Selbstvertrauen, sondern ihre Abhängigkeit von Bestätigung.
Zutrauen dagegen wirkt tiefer.
Es signalisiert: „Ich glaube an dich – unabhängig vom Ergebnis.“
Es stärkt die innere Haltung: „Ich darf etwas probieren. Ich darf Fehler machen. Und ich wachse daran.“
Ermutigung bewertet nicht – sie begleitet.
Sie sieht den Weg, nicht das Ziel. Den Mut, nicht das perfekte Ergebnis.
Und genau das brauchen Kinder, um sich etwas zuzutrauen:
Ein Gegenüber, das ihnen vertraut – auch wenn es schwierig wird.
Gerade bei ADHS gilt: Zutrauen ist kein Bonus – es ist Grundlage
Kinder mit ADHS hören oft, was sie nicht können: still sitzen, sich konzentrieren, ruhig bleiben. Ihre Schwierigkeiten stehen im Fokus – nicht ihre Bemühung. Umso wichtiger ist es, dass sie zu Hause erleben dürfen: „Ich traue dir etwas zu“. Denn wer sich ständig kontrolliert fühlt, verlernt schnell, an sich selbst zu glauben.
Zutrauen schenkt diesen Kindern etwas, das sie in vielen Lebensbereichen zu selten erfahren: das Gefühl, kompetent zu sein. Genau dieses Gefühl kann der erste Schritt sein, um Selbstregulation zu lernen und auf positive Art dazuzugehören, statt durch negatives Verhalten gesehen zu werden.
Praktische Impulse für den Alltag
- Frage dich in Alltagssituationen: Warum möchte ich das jetzt übernehmen? Aus Zeitdruck, aus Angst – oder aus Gewohnheit?
- Nutze kleine Aufgaben, um Verantwortung zu übertragen: Den Tisch decken, die Post bringen, beim Einkaufen etwas abwiegen.
- Lass auch andere Erwachsene Teil davon sein: Bitte Freunde, Großeltern oder Lehrer:innen deinem Kind Aufgaben zu geben, die Sinn machen. So erlebt dein Kind Wirksamkeit außerhalb der Elternrolle.
- Verzichte auf Bewertungen: Kinder brauchen keine Urteile über ihre Leistung – sondern Menschen, die sich ehrlich für ihren Einsatz und ihre Fortschritte interessieren.
Fazit:
Kinder lernen Selbstvertrauen nicht nur durch Erfolge – sondern durch Erfahrung und Zutrauen.
Durch das Erleben: Ich werde ernst genommen. Ich darf probieren. Ich kann wachsen. Du traust mir das zu.
Wenn dein Kind oft sagt „Ich kann das nicht“, lohnt sich der Blick nach innen:
Was spiegelt dein Verhalten über Zutrauen, über Fehler, über Kontrolle?
Du musst nicht alles perfekt machen. Aber du kannst heute damit anfangen, deinem Kind etwas zuzutrauen – und dir selbst auch. Bei Calmi glauben wir: Jedes Kind kann wachsen. Und jedes Elternteil auch.
Wenn du spürst, dass du dein Kind stärken willst – aber unsicher bist, wie das im Alltag gelingen kann: Melde Dich bei uns.
In unserem Familiencoaching schauen wir gemeinsam auf eure individuelle Situation.
Wir helfen dir, die eigenen Reaktionen besser zu verstehen – und neue Wege im Miteinander zu finden, die ohne Druck, Schimpfen oder ständiges Ermahnen auskommen.
Buche ein unverbindliches Erstgespräch – und finde heraus, wie du dein Kind stärken kannst, ohne dich selbst dabei zu verlieren. Denn Veränderung beginnt mit dem ersten Schritt. Gemeinsam.